Eine Reise zu den Pinguinen

Oder: nichts für Landratten…

Armdick sind die Seile, mit der die MV Ushuaia im kleinen Hafen von Mar del Plata in Südamerika vertäut ist. Ein wenig größer habe ich mir unser Schiff schon vorgestellt, mit dem eine sichere Reise zwischen Eisbergen hindurch und über haushohe Wellen möglich sein soll. Ein Mitglied der Crew beruhigt mich gleich und sagt: „Ne, das ist super, dass die nicht so groß ist. Da rollt das Schiff die Wellen besser ab und bricht nicht auseinander. Außerdem ist es wie eine Boje konstruiert. Es richtet sich aus jeder Lage wieder auf.“ Ach so, na dann: Leinen los! Da ich eher in den Bergen zu Hause bin, halte ich mich gleich nach dem Auslaufen an der Haltestange neben der Toilette wie an einem Klettersteig über gähnendem Abgrund fest. Den Seeleuten und einigen Seeerprobten aus unserer bunt zusammengewürfelten 78-köpfigen Gruppe macht das leichte Schlingern des Bootes bei herrlichem Sonnenschein und kaum merklichen Seegang natürlich nichts aus.

Chemie-Keule und Land in Sicht

Dank einiger chemischen Keulen bekomme ich die Seekrankheit vorerst in den Griff, zumindest während der mehrtägigen Überfahrt nach Südgeorgien und der Zeit in dortiger Küstennähe ist der Kreislauf in Schwung. Die folgenden Tage bescheren uns für diese Region untypisch viel Sonnenschein und kaum Wellengang. Eine Vielzahl diverser Seevögel und einige Finnwale begleiten unser stählernes Zuhause. Zahlreiche Vorträge mehrerer Gastlektoren über die aktuelle Pinguinforschung, Geologie und klimatischen Veränderungen der letzen Jahre sorgen für eine gelungene Abwechslung. Es bleibt auch genügend Zeit, in Ruhe die Mitreisenden kennen zu lernen. Berufsfotografen, Traveller, Naturbegeisterte und einige gutsituierte Damen und Herren bevölkern die MV Ushuaia, wie unser Schiff passend zum Zielhafen unserer Reise heißt. Hierbei handelt es sich um ein früheres Spionageschiff der Amerikaner, welches mit Verstärkungen am Rumpf für den harten Einsatz im Südpolarmeer umgerüstet wurde. Es ist eines der kleinsten Passagierschiffe in diesen Gewässern und dank ausgebildeter Antarktisexperten an Bord und diverser Sondergenehmigungen werden wir in Südgeorgien in Buchten und Regionen vordringen können, die den großen Reisedampfern verwehrt bleiben.

Nach vier Tagen auf See heißt es „Land in Sicht“  und WAS für ein Land! Alpin anmutende Berge, die von großen Gletschern zerfressen werden, erheben sich am Horizont. Als i-Tüpfelchen wird dieses Panorama noch von zahlreichen in diesen Breiten bisher nicht so häufig vorkommenden Eisbergen und Schelfeisstücken gesäumt. Eines dieser schwimmenden Süßwasserblöcke hat mit 4x8km Kantenlänge die Ausmaße einer Insel. Da würde sich schon eine richtig gute Wanderung darauf unternehmen lassen. In Fortuna Bay rasseln erstmals die tonnenschweren Ankerketten und wir steigen in kleine motorbetriebene Schlauchboote, so genannte Zodiacs. Dies ist gar nicht so einfach, denn zunächst muss eine klapprige Treppe an der Bordwand hinunter gestiegen werden und dann gilt es den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, um in das auf den mehreren Meter hohen Wellen auf- und abtanzende Gummiboot zu steigen. Massige Seeelefanten, Seelöwen und Robben liegen gleich hinter der Wasserlinie am Strand. Besonders die ohrenbetäubend lauten „Rülpser“ der Seeelelefanten sorgen auf den ersten Metern für ein mulmiges Gefühl. Einige Stunden erkunden wir die Umgebung, sehen die ersten Königs- und Eselspinguine, und der ein oder andere Mund bleibt vor Staunen und Begeisterung offen. Da die Wetterlage stabil ist und auch der Seegang es zulässt, schippern wir weiter, um Prion Island zu erkunden. Hier nisten zwischen meterhohem Tussock-Gras einige Wanderalbatrosse, die zu dieser Jahreszeit kurz vor dem Schlüpfen ihres Nachwuchses stehen. Die territorialen Ansprüche an Südgeorgien liegen bei England und somit muss sich jeder Besucher registrieren lassen.

Der Platz für eine Hochzeit…

Dies geschieht in Grytviken, einer alten Wahlfangstation, die aktuell hauptsächlich Wissenschaftlern als Stützpunkt dient. Eigentlich zählen hier die alten, halb verfallenen Gebäude der 1965 aufgegebenen Walfangstation sowie das Grab des Eingangs erwähnten Sie Edmund Shackelton zu den Hauptattraktionen Grytvikens. Berühmt wurde Shackelton vor allem als Leiter der britischen Antarktis-Expedition von 1914 bis 1916, bei der er noch vor Scott und Admundsen den Südpol erreichen wollte. Die Expedition scheiterte jedoch, als sein Schiff, die Endurance, im Packeis zerdrückt wurde. Dank Shackletons Leistung gelang es, alle Männer dieser Expedition auf Elephant Island zu retten. Damals konnte er unweit von hier (Stromness Harbour) Hilfe für seine Kameraden holen. Er starb auf seiner vierten Expedition, die ihn gleichfalls in die Antarktis führen sollte. Bei unserem Besuch war das Hauptevent jedoch eine Hochzeit. Zwei Mitreisende gaben sich in der alten Wahlfängerkirche von 1913 das Ja-Wort – stielecht in Hochzeitsrobe und Gummistiefel. Wir „Hochzeitsgäste“ nahmen ebenfalls alle andächtig mit Gummistiefel und Schwimmweste an der durchaus feierlichen Zeremonie teil und verfolgten den Beginn einer Ehe am Ende der Welt. Wer sich beeilt kann es noch unter die Top-Ten schaffen. Es war erst die achte Trauung im einzigen Standesamt der Antarktis.

Impressionen der Extraklasse

Gleich um die Ecke habe ich dann noch einigen Seelöwen beim Beischlaf und sogar bei einer Geburt zusehen können und schon ging es wieder an Bord… Oft verhindern Wetter und starker Wellengang Anlandungen bei Reisen in Polarregionen. Deshalb war ich besonders gespannt, ob es möglich sein wird, in St. Andrews Bay an Land zu kommen. Hier soll seit kurzem eine der größten Königspinguinkolonien ihr Lager aufgeschlagen haben und dementsprechend gibt es noch nicht viel Bildmaterial dieser populationsstarken Bucht. Gespannt stellte ich den Wecker auf vier Uhr. Der Blick aus dem Kabinenfenster versprach Gutes: ein in Orangetönen getauchter Morgenhimmel. Dies bedeutet, raus in die Kälte, den aufsteigenden Feuerball beobachten und nebenher noch ein paar Eisberge, Gletscher und schneebehangene Berge im weichen Licht auf den Chip in der Kamera verbannen. Nach dem Frühstück sind wir fix in die Zodiacs gesprungen. Ein ganzer Tag lang wurde das Gehirn und die Kamera mit Eindrücken der Extraklasse versorgt. Tausende von Königspinguinen, eine atemberaubende Landschaft und traumhaftes Wetter fügten sich zu einer fast schon unwirklichen Szenerie zusammen. Besondere Freude bereitete uns der so genannte „Kindergarten“. Hier steht der gesamte Pinguinnachwuchs mehr oder weniger dicht gedrängt beieinander und wartet auf die Rückkehr der Elterntiere aus dem Meer. Mit lautem und unverkennbarem Zuruf von beiden Seiten finden die Eltern- und Jungtiere inmitten tausender Pinguine zusammen, um Futter und einige Liebkosungen auszutauschen. Hin und wieder läuft eines der Jungtiere, wohl aus jugendlichem Leichtsinn oder pubertierendem Imponiergehabe, Amok. Die Artgenossen werden teilweise überrannt und Ausrutscher bei zu rasant angegangen Richtungswechseln bieten Showeinlagen, die uns vor Lachen Tränen in die Augen treiben. Bei weiteren Landgängen erkunden wir so Tag für Tag etliche Regionen Südgeorgiens.

Nahezu jede hier lebende Pinguinart konnte in aller Rufe fotografiert und ihr Verhalten studiert werden. Ich war schon in einigen Regionen der Welt unterwegs, aber eine so faszinierende Komposition von Flora und Fauna bei gleichzeitig hohem Maß an Ursprünglichkeit gibt es leider nicht mehr oft. Da durch strikte Naturschutzauflagen individuelle Trekking- oder Bergtouren fast nicht möglich sind bzw. nur mit sehr teueren Sondergenehmigungen und wissenschaftlicher Begleitung durchgeführt werden können, ist die Chance hoch, dass dies auch weiterhin so bleibt.

Nach fünf Tagen ankerten wir im Drygalski Fjord. Benannt nach einem der größten ins Meer kalbenden Gletscher, bot sich erneut eine filmreife Kulisse. Auch hier waren ungewöhnlich viele Eisberge und Schelfeisblöcke im Wasser, was natürlich schön anzusehen ist, aber auch die Frage nach Veränderungen der globalen klimatischen Bedingungen aufwirft. Schon während meines Studiums der Geographie konnte ich „live per Satellit“ miterleben, wie das bis dahin seit über 10.000 Jahre stabile 3250 Quadratkilometer große Larsen-B-Schelf kollabierte. Bisher ist die genaue Ursache innerhalb der Wissenschaft nicht zu 100% geklärt, aber die wahrscheinlichsten Auslöser dürften unter den fairoutdoor-Lesern bekannt sein. Wer mehr zum Thema wissen möchte: http://www.antarctica.ac.uk  [Gut verständliche und auch für Nichtwissenschaftler interessante Homepage über Forschungen in dieser Region]

Schwere See in der Drake Passage

Gemütlich hier im Fjord ankernd macht mir aber der Blick auf das Barometer derzeit größere Sorgen: es fällt ins Bodenlose. Da wir morgen wieder auf das offene Meer hinaus müssen, um Kurs Richtung Ushuaia zu nehmen, verheißt das nichts Gutes. Beim Abendessen verkündet der Kapitän dann auch, dass dies für die nächsten zwei Tage wohl das letzte Vier-Gänge-Menü sein wird, da das Küchenpersonal bei hohem Wellengang sicherlich nicht in der Lage sind wird, üblichen Standard zu bieten. Wir sollen uns darauf einrichten, alles nicht Befestigte sicher in Schränken zu verräumen, notfalls auf dem Boden zu schlafen und uns möglichst wenig auf dem Schiff zu bewegen.

Ein Gang auf Deck wurde aus Sicherheitsgründen verboten. Der Wetterbericht sagte bis zu 10m Wellengang bei Windstärke 11 voraus. Hinzu kommt, dass wir in die Drake-Passage fahren, wo der Atlantik auf den Pazifik trifft. Starke Strömungen und durch den antarktischen Tiefdruckgürtel besonders kräftige Winde kennzeichnen diese Route. Er fügt verschmitzt hinzu: „Da wird es ein wenig ,holprig’“. Ich versuche das Essen vorerst noch zu genießen… Am nächsten Tag verlassen wir den Fjord. Der Wind und die Wellen nehmen von Minute zu Minute zu. Das Schiff rollt von links nach rechts mit einer Amplitude von ungefähr 8m an der Außenseite. Der Bug schießt 10m in die Höhe, nur um kurz darauf mit ohrenbetäubendem Getöse in das nächste Wellental zu stürzen. Das Wasser klatscht gegen die 20m hoch gelegene Brücke. Der Kapitän hört derweil klassische Musik und wirkt relaxt – es scheint ihm sogar Freude zu bereiten. Mir zieht es den Boden unter den Füßen weg. Ich kauere mich für die nächsten zwei Tage ins Bett und hoffe, dass die Seekrankheit nachlässt. Steffi macht der Seegang nichts aus. Sie versorgt mich mit leicht verdaulichen Nahrungsmitteln und berichtet, was außerhalb der Kabine so vor sich geht. Nahezu die Hälfte der Passagiere ist seekrank. Viele schlafen im Aufenthaltsraum, da die Gefahr aus dem Bett zu fallen groß ist. Einige haben sich schon an Wände, und Stahltüren Platzwunden geholt, und der ein oder andere Finger hat in plötzlich zufallenden Türen auch schon seine Form verändert. Mit anderen Worten: Der Bordarzt hat Einiges zu tun. Irgendwann wird es ruhiger, die Leute lachen wieder und der Spuck ist vorbei. Zwei weitere Tage wird unser Schiff noch von diversen Albatrosarten, Riesensturmvögeln und Delphinen begleitet bis am Horizont das Festland auftaucht. Grund für ein schönes Abschiedsfest, welches bis in die frühen Morgenstunden andauert und ich mich tags darauf frage, ob es an den fehlenden Wellen oder am argentinischen Rotwein liegt, dass die ersten Schritte auf Land so anstrengend sind…

Unser Fazit zur Tour:

Wer seefest ist und nahezu unberührte, wilde Natur liebt – der sollte eine Reise nach Südgeorgien/Antarktis in jedem Fall auf seine „To-Do-Liste“ setzen!

Südgeorgien:

Südgeorgien ist eine gebirgige und zerklüftete Insel mit zahlreichen Gletschern am Rand der antarktischen Konvergenz. Elf Berge Südgeorgiens erreichen eine Höhe von über 2.000 m, höchste Erhebung ist der Mount Paget mit 2.934 m. Die Hauptinsel Südgeorgien ist 160 Kilometer lang und 30 Kilometer breit. Sie umfasst eine Fläche von 3.756 km². Auf der Insel befinden sich mehr als 160 Gletscher, von denen viele bis ans Meer heranreichen. Die Südwestküste ist den Westwinden ausgesetzt und verfügt deshalb über ein kälteres, stürmischeres und im Allgemeinen sehr unwirtliches Klima. Die Nordostküste liegt im Windschatten der Berge. Somit ist dort das Klima angenehmer und der Seegang in den Buchten ist ruhiger. Südgeorgien ist das wichtigste Brutgebiet des Königspinguins. Ungefähr 400.000 Tiere dieser Art leben dort. Der Bestand an Goldschopfpinguinen wird auf ca. 5 Millionen Exemplare geschätzt. Des Weiteren stellt Südgeorgien einen wichtigen Lebensraum für Seeelefanten und Seelöwen dar. In der Brunftzeit treffen sich bis zu 350.000 Seeelefanten an den Küsten der Insel, während die Zahl der Seelöwen auf ca. 2 Millionen geschätzt wird.

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